Aktfotografie der 60er Jahre
Text: Jörg Bohn / VG Wort Wissenschaft - Erstveröffentlichung im Sammlermagazin "Trödler", Heft 9/07
Während die Fünfziger Jahre noch in hohem Maße von Spießbürgertum und Prüderie geprägt waren, gelten die 60er dagegen im Rückblick als das Jahrzehnt der sexuellen Revolution.
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"Akt 61", | | "Akt 63", jeweils FRAVEX Verlagsgesellschaft |
Die neue Freizügigkeit erschließt sich den Deutschen allerdings nicht von heute auf morgen und an nicht wenigen Zeitgenossen geht sei ohnehin spurlos vorüber. Große Probleme bereiten publikationswilligen Aktfotografen zu Beginn der 60er daher nicht nur die immer noch in den meisten Köpfen vorherrschenden konservativen Moralvorstellungen der Adenauer-Ära, sondern vor allem auch eine überaus strenge Gesetzgebung. So wird mit einer Geldstrafe oder gar Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft, wer „unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft oder verteilt an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind.“ Was als unzüchtig zu gelten hat, wird von der damaligen Gerichtsbarkeit im Zweifelsfall eher eng ausgelegt. Zwar ist die Darstellung des nackten Körpers grundsätzlich zulässig, nicht jedoch „bei lüsternem Gesichtsausdruck der Dargestellten, bei lockender Haltung und Beibehaltung halbverhüllender Kleidungsstücke behufs Reizung der Sinnlichkeit.“ Halbwegs auf der sicheren Seite befindet sich hingegen, wer künstlerische Ambitionen vorzuweisen hat: „Kunstgerecht ist die Absicht dann, wenn der geschlechtliche Reiz nur als Mittel zu künstlerischen Zwecken erweckt werden soll.“ Folglich versäumt es kaum einer der damaligen Buchautoren, in einigen einleitenden Worten eben diesen Aspekt für die von ihm präsentierten Fotos in Anspruch zu nehmen. „Die Aufgabe, die Schönheit des nackten Körpers darzustellen, war einst nur den Literaten, Malern und Bildhauern gestellt und wurde erst durch die Erfindung der Daguerreotypie 1837 in Paris in neue Hände übergeben, in die Hände der Photographen.“ Obwohl in den Anfängen Belichtungszeiten von mehreren Minuten die neue Technik für die Ablichtung von beweglichen Objekten nicht gerade prädestinierten, nutzten einige Maler die Photographie, um mit Hilfe der Aufnahmen Vorstudien für spätere Gemälde zu erstellen. Dies lässt ein gutes Jahrhundert später für den Herausgeber eines entsprechenden Fotobuches den Rückschluss zu „dass die Ursprünge der modernen Aktfotographie also ihre Wurzeln in den größten Künstlern jener Zeit haben“. Ein großes Wort, das bei weitem nicht bei allen zu diesem Thema auf dem Büchermarkt auftauchenden „seriösen“ Aktbildbänden nachzuvollziehen ist, zu groß ist die qualitative Streuung, die bisweilen sogar innerhalb eines Bandes das komplette Spektrum zwischen Kunst und Kitsch bedient.
Im Vergleich mit der Malerei offenbart die Photographie eine große Schwierigkeit, die nicht selten den Unterschied zwischen Akt- und Nacktfoto deutlich werden lässt: „Ihre neuartige Realistik und, damit verbunden, ihre oft als aufdringlich empfundene Wirklichkeit.“ Lange Zeit versuchte man, diesem Umstand mit verschiedenen Edeldruckverfahren wie dem Bromöl-Druck zu begegnen, die den Fotos einen gemäldeartigen und dadurch idealisierenden Ausdruck verliehen. „Damit war die Realistik wahrhaftig überwunden. Gleichzeitig aber auch das Fotografische der Fotografie“, moniert Herbert Rittlinger in seinem 1960 erschienen Fachbuch „Das Aktfoto – Problem und Praxis“, welches sich zu einem Standartwerk für ambitionierte Fotoamateure entwickeln sollte und darüber hinaus auch heute noch durchaus lesenswerte Informationen über Geschichte und Entwicklung der Aktfotografie zu bieten hat. Auch Fritz Meisnitzer und Werner Schmölcke waren auf diesem Sektor feste Größen und gaben ihr Wissen an die interessierte Leserschaft weiter.
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Illustriert mit ausgewählten Aufnahmen anerkannter zeitgenössischer Fotografen erfreuten sich derartige Publikationen großer Beleibtheit, konnten die überwiegend männlichen Käufer ihren Erwerb im Gegensatz zu reinen Fotosammlungen gegenüber Mitmenschen oder Ehefrau doch mit dem Lehrbuchcharakter rechtfertigen.
Überhaupt nimmt zu Beginn der 60er die Frage nach den „Warum“ der Aktfotographie noch einen großen Raum ein, da Nacktheit von der Mehrheit höchstens an FKK – Stränden geduldet wird und nicht wenige Moralapostel geradezu nach Gründen suchen, Anstoß nehmen zu können. So müssen Fotographen damit rechnen, dass „beflissene Biedertümler an ihren Aufnahmen, unabhängig von deren Qualität, Ärgernis nehmen“ oder diese „als heikel, wenn nicht gar als anstößig empfinden“. Entsprechend zurückhaltend formuliert deshalb beispielsweise der Hamburger Streifen – Verlag die Beweggründe für das Erscheinen seiner „Akt-Variationen“: „Diese Werk wurde geschaffen nach der Devise der Stammväter der Aktfotografie: Sie wollten dem Menschen die Großartigkeit der Schöpfung nahe bringen und das Auge sehen lehren, wie schön der Mensch wirklich ist, wenn Licht und Schatten ihn umspielen, umgeben von nichts, bekleidet mit nicht mehr als der ihm angeborenen Ausstrahlung.“ Will er diese und etliche andere Einleitungen beim Wort nehmen, muss deren Leser unwillkürlich zu dem Schluss kommen, dass es sich bei Aktfotographen um asexuelle Wesen handelt, die ihr hehres Streben ganz alleine in den Dienst der Kunst stellen und bestrebt sind, jedweden erotischen Gedanken im Keime zu ersticken. Lediglich Herbert Rittlinger traut sich zu dieser Zeit bereits einen Schritt weiter, für ihn ist das Aktfoto nicht nur „Studie und ästhetischer Genuss“, sondern durchaus auch „Sehnsucht, Erotik und Triebsublimierung“.
Wenn in den diversen Begleittexten von „nackten Menschen“ die Rede ist, bedeutet dies in mindestens 95 Prozent der Fälle, dass es sich um nackte Frauen handelt. Abgesehen von einigen wenigen, in fast jedem Band vorhandenen Alibi-Männern, sind nahezu ausschließlich unbekleidete weibliche Körper zu entdecken. Aber auch bezüglich dieses Umstandes kommen die Autoren keineswegs in Erklärungsnotstand. Benno Bentzen beispielsweise beruft sich in „Akt im Lichtbild“ auf klassische Statuen, welche Männer darstellen, die „immer etwas tun. Kämpfen zum Beispiel oder Diskus werfen. Oder sterben. Die Frau dagegen muss nur schön sein, ob sie ruht oder ob sie sich in Bewegung zeigt“. Aus dieser einleitenden Beobachtung zieht er dann Schlussfolgerungen, die anschaulich das Frauenbild dieser Zeit dokumentieren und bei heutiger Lektüre wohl eher Belustigung als die eigentlich verdiente nachträgliche Entrüstung hervorrufen: „Die Lebensaufgaben der Frau haben sich seit klassischer Zeit nicht grundlegend geändert…Wie einst braucht sie nur zu kochen, zu nähen, zu waschen, zu putzen. Oder ganz einfach schön zu sein. Der Mann aber kämpft nicht mehr mit dem Schwert, sondern mit dem Kugelschreiber…Hält er bäumende Rosse am Zaum, so ist das recht ungewöhnlich. Was soll man also mit ihm machen? Akt am Steuer eines Sportwagens? Mit Sturzhelm und Brille?“ „Es hilft nichts“, resümiert Bentzen abschließend, „der Mann ist symbolisch als Akt nicht mehr zu fassen. Außerdem hat ein männlicher Körper „nun einmal nicht jene reizvollen Linien und wohlausgeglichenen Kurven des normalen weiblichen“, stellt Herbert Rittlinger fest, nicht ohne anschließend seine eigenen Worte ironisch zu hinterfragen, indem er Schopenhauer zitiert, der behauptete „es sei der vom Trieb umnebelte Intellekt, der dieses ästhetische Gesetzt geformt habe.“ Nachdem die Frage nach dem Geschlecht des Modells also geklärt scheint, bleibt noch die Suche nach dem optimalen Aufnahmeort, denn „im allgemeinen läuft der Mensch nicht nackt im Lande herum.“ Um die Kriterien eines „künstlerischen Akt“ zu erfüllen, muss der kleidungslose Zustand der abgelichteten Frauen begründet sein, was am einfachsten an einem Badegewässer zu bewerkstelligen ist. So tummeln sich die Modelle denn auf den allermeisten der Freilichtaufnahmen am Meeresstrand oder am Ufer eines Sees. Einige verschlägt’s auch in Wald und Flur oder gar ins Hochgebirge, wo sie dann – im Gegensatz zum „dynamischen Mann“ – als „statisches, empfangendes, mütterliches Weib“ in mehr oder weniger klassischen Aktposen verharren müssen, bis sie schließlich der Fotograf mit einem Druck auf den Auslöser seiner Kamera aus diesen oft sichtbar unbequemen Stellungen wieder befreit. Nur den wenigsten Bildautoren gelingt, was ein „Kunstwerk“ letztlich ausmacht, nämlich „dass man ihm die Mühen seiner Verfertigung nicht mehr ansieht“. Wenn die Modelle sich denn mal aus Ihrer Erstarrung lösen und Aktivität zeigen dürfen, geschieht dies zumeist in „Badeszenen“, die die ursprünglich geforderte Abstraktion zur Vermeidung allzu großer Realität ad absurdum führen. Solche Fotos sind in der Regel hübsch anzuschauen, erinnern jedoch häufig eher an Abbildungen in einschlägigen FKK-Magazinen, als an künstlerisch arrangierte Akte. Einige der Fotografen versuchen zwar, dem Ganzen durch ungewöhnliche Bildideen oder bisweilen auch durch sonderbare Accessoires Originalität zu verleihen, doch geht dies leider recht häufig in die – nicht vorhandene – Hose. Besonders hervor hebt sich in diesem Zusammenhang die Bildersammlung „color akt 2000“, den bizarren Höhepunkt in einem vor merkwürdigen Aufnahmen und unfreiwilliger Komik strotzendem Band verkörpert ein unbekleidetes Paar an einem ansonsten menschenleeren Sandstrand: Während der nackte Mann vehement in sein Saxophon(!) bläst, vollführt die dazugehörige Frau offensichtlich so etwas wie einen Ausdruckstanz…
Die Alternative zu den Freilichtaufnahmen bietet die Arbeit in geschlossenen Räumen. Zumeist entstehen entsprechende Aufnahmen in lichttechnisch optimierten Fotostudios, getreu den eigenen Vorgaben jedoch seltener in normalen Wohnräumen: „Man vermeide, den Akt in eine Umgebung zu stellen, der man sofort eine anderweitige Zweckbestimmung ansieht etwa durch Klubsessel, Bücherschrank, Tische oder sonstigen Hausrat. Ein nackter Mensch in solcher Umgebung wirk einfach nur ausgezogen.“ Im Gegensatz zum Naturalismus der unter freiem Himmel entstandenen Bilder überwiegt bei den Studioproduktionen die „subjektive Fotografie.“ Dieser Begriff geht auf eine 1950 präsentierte Ausstellung des Mediziners und fotografischen Autodidakten Otto Steinert in der Saarbrückener Schule für Kunst und Handwerk zurück, der dort gemeinsam mit der Gruppe „fotoform“ eine Auffassung präsentierte, in der das gestalterische Eingreifen des Fotografen die entscheidende Rolle spielt und somit dessen ganz persönliche Sicht der Dinge widerspiegelt. Die Aktdarstellung beschränkt sich auf die Abbildung der wesentlichen Grundformen des Körpers, die so entstehenden Torsos und Körperlandschaften werden darüber hinaus häufig in der Dunkelkammer durch verschiedenste Labortechniken zusätzlich verfremdet. Entsprechende Fachbücher zur „Dunkelkammer-Praxis“ beschäftigen sich ausführlich mit Fotogrammen, Solarisation, Negativdruck, Mehrfachbelichtungen sowie ungezählten weiteren Möglichkeiten der nachträglichen Bildbearbeitung. Oft und gern findet zu dieser Zeit auch Strukturglas Verwendung, das für eine Verfremdung der dahinter platzierten Fotomodelle bereits bei der Aufnahme sorgt. Handelte es sich seinerzeit um weit verbreitete und beliebte Stilmittel, die nicht selten bis zum Überdruss ausgereizt wurden, wirken etliche dieser Aufnahmen auf den heutigen Betrachten doch recht antiquiert und besitzen häufig eher dokumentarischen denn reizvollen Charakter.
Einen Überblick über die Aktentwicklungen der 60er Jahre bieten die von der Fravex-Verlagsgesellschaft herausgegebenen Jahressammlungen „akt 61“ bis einschließlich „akt 70“, wobei, wohl unfreiwillig, auch negative Beispiele nicht ausgespart bleiben. Beziehen konnte man diese Bände seinerzeit unter anderem beim Versandhaus Beate Uhse, in dessen Katalog der potentielle Käufer mit blumigen Worten eingeladen wird „zu einer Entdeckungsreise in ein paradiesisches Land, in dem weibliche Schönheit regiert und in dem man den Alltag vergisst. Nehmen Sie „akt 67“ in die Hand und schon sind Sie da!“ – Wie immer das auch gemeint sein mag…
Mitte der 60er fallen die Hüllen dann nicht nur in Büchern oder entsprechenden „Heftchen“ aus Skandinavien, sondern bereits in den Auslagen der Zeitschriftenhändler. Magazine wie Quick und Neue Revue geizen auf ihren Titelblättern nicht mit nackten Tatsachen. In den folgenden Jahren sorgen die immer weitere Verbreitung der Antibaby – Pille, Oswald Kolle als „Aufklärer der Nation“ und nicht zuletzt die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Auftrag gegebenen „Helga“ – Filme für eine neue Offenheit, die vielen Mitmenschen jedoch schon wieder zu weit geht. Nachdem auch einige diesen Bereich betreffende Gesetze liberalisiert werden, setzt eine regelrechte „Sexwelle“ ein, bei der es jedoch weniger um die ursprünglichen Ideale der „sexuellen Befreiung“ geht, als vielmehr darum, aus den vorhandenen menschlichen Bedürfnissen einen möglichst großen Profit herauszuschlagen. Während bei vielen Druckerzeugnissen in diesem Zusammenhang die fotografische Qualität auf der Strecke blieb, bildet die bereits Ende der 50er Jahre von Willy Fleckhaus gegründete Zeitschrift Twen eine rühmliche Ausnahme. Zwar versucht man auch dort erfolgreich, mit Aktaufnahmen die Auflage zu steigern, doch geschieht dies zumeist auf hohem Niveau. Twen setzte fotografische Trends. „Bis heute hat es in Deutschland kein vergleichbares Blatt gegeben, in das Fotografen derart drängten und das mit der einzigartigen Präsentation von Fotos Zeichen gab. So gab Twen nie nur den Zeitgeist der sechziger Jahre wieder, sondern brach selbst Konventionen nieder…Viele der heutigen Fotografen begründeten ihren Ruf durch erste Veröffentlichungen in diesem Magazin und Fotografen, die bereits Weltrang besaßen, veröffentlichten hier ihre Bilder.“ (Quelle: Das Aktfoto, Bucher 1985) So bereitet Twen unter anderem den Boden für Sam Haskins, der mit seinen Aktbildbänden „Five Girls“ und „Cowboy Kate“ die „Abkehr vom traditionell-klassischen Akt einläutet“ und auch in Deutschland respektable Verkaufserfolge erzielt. Hierzulande unter den Titeln „Fünf Mädchen“ sowie „Cowboy Kate & andere Stories“ bei Hieronimi in Bonn („International erfolgreiche Meisterwerke geistvoll-pikanter Fotografie“) verlegt, besitzen seine Modelle Namen und Gesichter und damit auch Persönlichkeit.
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Für den erfolgreichen Werbefotografen Haskins selbst bedeuten seine „Fünf Mädchen“ „ein ernsthaftes Vorhaben, das mir geholfen hat, graphische Ideen, die sich in den Winkeln meines Bewusstseins verborgen hielten, an die Oberfläche zu bringen“ und auch „einen Zeitvertreib, der eine Erholung von der sehr strengen Disziplin der Bildarbeit für die Werbung darstellt“. Letzteres mag man dem 1926 geborenen Südafrikaner durchaus glauben, strahlen doch insbesondere die „Fünf Mädchen“ auf gleich bleibend hohem fotografischem Niveau eine nie zuvor in diesem Genre gesehene Leichtigkeit und Lebensfreude aus. In der Regel veröffentlicht er Bilderserien, die – zumindest in der Phantasie des Betrachters – Geschichten erzählen, „Sam Haskins ist ein Märchenerzähler, sogar ein Dichter.“ Das Vorwort gibt Aufschluss darüber, dass auch Haskins Werk unter gesetzlichen Gängeleien zu leiden hat. „Warum sind die Modelle zuweilen teilweise bekleidet? Weil es törichte Beschränkungen gibt, die verbieten, einen Körper nackt zu sehen.“ Doch anders als bei vielen seiner Berufskollegen, deren Bildern sichtlich unter den krampfhaften Versuchen leiden, „das den Geschlechtsunterschied aufzeigende Merkmal zu verbergen“, macht er aus der Not eine Tugend. „Um zu vermeiden, die Bewegung, den Geist und die Lebendigkeit, die er in diesen Modellen einzufangen suchte, nicht zu erfassen und sich von dem zu befreien, was er am meisten verabscheut – die verfälschende Anwendung von Kniffen und Retuschen, die die Fotografie der menschlichen Gestalt fast erstickt haben – hat sich Sam Haskins mit der partiellen Bekleidung für das kleinere von zwei Übeln entschieden.“ In seinem zweiten Aktbildband, dem weltweit über eine Million Mal verkauften „Cowboy Kate & andere Stories“, experimentiert Haskins mit den Eigenschaften des von ihm verwendeten grobkörnigen schwarz-weißen Filmmaterials, indem er die auf den Abzügen ohnehin sichtbare werdende Körnung durch extreme Ausschnittvergrößerungen noch zusätzlich verstärkt und beeinflusst dadurch Generationen nachfolgender Fotografen. Doch nicht nur durch seine Technik der Bildbearbeitung setzt er Maßstäbe, sondern auch durch die konzeptionelle Gestaltung seiner Bücher. Waren Aktbildbände bisher „Dokumentationen internationaler Fotokunst“ und vereinigten in der Regel ohne bildthematischen Zusammenhang die unterschiedlichsten Werke verschiedener Fotografen, erscheinen nun vermehrt Bände, die von einem zusammenfügenden Gesamtkonzept getragen werden. So lichtet beispielsweise der durch seine frühen Aufnahmen von Marilyn Monroe bekannt gewordene Amerikaner Andre de Dienes seine Modelle in dem Bildband „Western Akt“
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überwiegend vor den bizarren Felskulissen der kalifornischen Mojave-Wüste ab, schiebt zusätzlich diverse Fotos von Cowboys und Indianern dazwischen und verbindet alles mit kurzen – und leider recht albernen – Texten im Stil der Zeit („Und wenn sie die Augen schließt, dann hört sie die stampfenden Rhythmen tanzender Indianer…“). Nichtsdestotrotz handelt es sich sicherlich um eines der herausragenden Werke dieser Gattung, das dem Betrachter auf Anhieb die Entwicklung zwischen der so oft gesehenen belanglos-netten und häufig wie am Reißbrett geplant wirkenden Aktfotografie im alten Stil und den unkonventionellen und mutigen Bildideen einer modernen Auffassung deutlich macht. „Ich will nicht einmal den Versuch machen, vorzutäuschen, dass ich bei meiner Arbeit viel Kameratechnik anwende“, beschreibt de Dienes seine Vorgehensweise, „mein Hauptziel war es, Plätze ausfindig zu machen, die ich gern besuche, und festzuhalten, was ich vorfinde. Und ebenso die Posen, die ich von meinen Modellen verlange, so schnell wie möglich aus den verschiedensten Winkeln zu fixieren.“ Diese Spontaneität spiegelt sich in den erfrischenden Aufnahmen von de Dienes wider, indem zugunsten eines im richtigen Moment entstandenen stimmigen Gesamteindrucks gegen jede fotografische Grundregel auch Schlagschatten und andere technische Unzulänglichkeiten in Kauf genommen werden. Die oft recht unorthodoxen, jedoch nie angestrengt wirkenden Stellungen seiner Modelle korrespondieren dabei auf spannende Weise mit schroffen Gesteinsformationen, um sich letztlich zu einem harmonischen Ganzen zu vereinigen, das de Dienes eigenem hohen Anspruch vollauf gerecht wird: „Wenn ich fotographiere, gibt es für mich keine Entschuldigung, Bilder zu schaffen, die nicht hervorragend sind, und wenn ich dazu nicht in der Lage bin, dann sollte ich nicht Berufsphotograph sein, dessen Aufgabe es ist Photographien zu machen, die besser sind als andere.“
Ganz dem Stil Sam Haskins’ verpflichtet fühlt sich offensichtlich der ehemalige US-Offizier Wingate Pain, zu dessen großformatigem Bildband „Mirror of Venus“ die französische Schriftstellerin Francoise Sagan sowie der italienische Filmregisseur Federico Fellini die Texte beisteuerten.
„Wer sich oder Freunden ein Bilderbuch zu Weihnachten schenken will und ein Stück gepflegter Erotik passend findet, kann zu diesem Bildessay über die Reize schöner Mädchen greifen“, urteilt DIE ZEIT im Dezember 1966 und belegt damit, dass Bücher dieser Art mittlerweile salonfähig geworden sind.
Erwähnung finden soll auch ein Aktbildband des ungarischen Fotografen Vincent Lussa, dessen trotz einiger Mängel dennoch durchaus anschauens- und lesenswertes Buch leider mit dem dümmlichen Titel „Grazien ohne Hülle“ gestraft wurde. Seine Aufnahmen widmet er „allen Freunden des Lichtbilds“, die „der immer wiederkehrenden, nach dem letzten Schrei der Mode gekleideten Pin-up-Modelle überdrüssig“ sind und die auch der „angeblich experimentellen Photographie, die so oft einfach nur einen Mangel an Talent verbirgt“, nichts abgewinnen können. Um einen durchaus originellen Vertreter der gescholtenen experimentellen Richtung handelt es sich jedoch bei Ulrike Bocks und Arno Waldschmidts Bilderbuch „Das Mädchen und der Knopf“, einem Zusammenspiel aus gewollter Unschärfe, grobkörnigem Filmmaterial und ungewohnten Perspektiven, bei dem besagter Knopf über einen Frauenkörper wandert.
Gegen Ende der 60er erscheinen diverse Bände, die ein einziges Modell in den Mittelpunkt einer Bildergeschichte stellen und durch einleitende Worte oder verbindende Zwischentexte die Phantasie des Betrachters in eine bestimmte Richtung lenken. So verwandelt sich beispielsweise in Marcel Veroneses sehenswertem „Mademoiselle 1+1“ die normalerweise „sanfte blonde Zoé“ im Zauber des Mondes zur dunklen, harten und verwegenen Pferdediebin, während Georges-Yves Massart in „Veronika und das Pferd“ mit Erfolg auf die Wirkung der Kombination „nackte Frau, Pferd und schöne Landschaft“ vertraut.
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Ebenfalls Reitsportbegeistert ist augenscheinlich „Sun Day Sue“ in Karl de Haans „Happy Sunday“, das sich zudem aussichtsreich um einen imaginären Sonderpreis für den blödsinnigsten Beleittext bemüht: „Das Wasser hüllt sie ein: ein gläserner Mantel aus prickelnder Kühle, den die erschreckten Brüste zerschleißen.“ Harte Konkurrenz verspricht Marcel Veroneses „Lovestory“: „Für das Mädchen Chris, jung und einsam, kann das Leben morgen beginnen, aber noch ist nichts entschieden.“ Veroneses ansonsten empfehlenswerter Bildband erschien im Ehapa-Verlag, der ebenfalls für die „Venus“ – Reihe (1968 – 1972)
verantwortlich zeichnet, welche durch ihren Vertrieb über den Zeitschriftenhandel weite Verbreitung fand.
Nett anzuschauen ist eigentlich auch Hans Zeidlers „Sommer mit Andrea“ mit „Fotos vom freien weiblichen Körper in der sommerlichen Landschaft“, könnte aber gleichzeitig als Negativbeispiel für die von Sam Haskins angeprangerten „verfälschenden Retuschen“ herhalten.
Ein etwas weniger „freier weiblicher Körper“ - und damit weniger Retuschen - hätte hier in einigen Fällen sicherlich zu einem stimmigeren Gesamtergebnis geführt.
Zu den kommerziell Erfolgreichsten der Szene gehörte Peter Basch, der sich als Starfotograf in Hollywood einen Namen machte. Doch während einige seiner Promi-Fotos von Catherine Deneuve, Jane Fonda, Brigitte Bardot & Co auch nach knapp einem halben Jahrhundert noch durchaus ansehnlich daherkommen, merkt man den meisten seiner recht angestaubt wirkenden Aktaufnahmen ihr Alter durchaus an. Ebenfalls hohe Auflagen erzielten die Bücher des Malers und Fotografen Lucien Lorelle, der sowohl kommentierte Zusammenstellungen von Arbeiten verschiedener Berufskollegen als auch Bände mit ausschließlich eigenen Aufnahmen veröffentlichte. Erwähnung finden soll schließlich noch „Weichzeichner“ David Hamilton, der seine Karriere ebenfalls in den 60ern startete und dann im Laufe der Siebziger Jahre insbesondere in Deutschland zu großer Popularität gelangte. So sind Hamiltons Aufnahmen auch in einem Ausstellungskatalog zur Kölner Messe „Photokina“ aus dem Jahr 1970 zu entdecken.
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„Vier Meister der erotischen Fotografie“ beinhaltet zudem Werke von Sam Haskins, dem Franzosen Francis Giacobetti und dem Japaner Kishin Shinoyama, dessen Fotos zeitgenössische Kritiker „an die surrealen Visionen von Salvador Dali“ erinnerten und zunächst als jugendgefährdend eingestuft wurden. Derart vereint der Katalog aktfotografische Auffassungen, wie sie verschiedener kaum sein könnten und gibt somit einen aufschlussreichen Überblick über Strömungen der gerade ausgeklungenen 60er. Das ursprüngliche Titelbild des Katalogs mit einer Aufnahme von Sam Haskins empfand man in der Folge offensichtlich als zu gewagt, in späteren Auflagen wurde es mehrmals geändert.
Als durchaus interessant erweist sich abschließend ein vergleichender Blick auf die 60er Jahre in der DDR. Die immer wieder zu hörende und zu lesende Behauptung, dass es dort freizügiger zuging als in der Bundesrepublik, findet aber zumindest im Bereich der Aktbildbände keine Bestätigung. Zwar druckte die seit 1954 erscheinende Zeitschrift „Das Magazin“ in jeder Ausgabe ein Aktfoto ab, darüber hinaus gehendes war jedoch, wenn überhaupt, nur unter dem Ladentisch als „Bückware“ zu bekommen, entsprechend sind auch Bücher zu diesem Thema dünn gesät. Zu nennen sind Hellmuth Burkhardts Lehrbuch „Aktfotographie“ aus dem Jahr 1958 sowie das 1965 alternativ unter dem englischem Titel „studies of nudes“ erschienene „Aktstudien“, in dessen Einleitung Herausgeber Burkhart betont sachlich über die Grundlagen der Aktfotografie referiert und zu jedem der „89 ausgewählten Meisterfotos“ seinen fachlichen Kommentar abgibt („Die wohlüberlegte Ausleuchtung lässt Muskeln, Knochen, Sehnen in reichem Licht- und Schattenspiel deutlich werden“). Ungewöhnlich freiheraus lesen sich dagegen einige von Roger Rössings Anmerkungen zur 1966 im Fotokinoverlag Leipzig publizierten Fotosammlung „Internationale Aktfotografie“: „Sinnlichkeit muss nicht Lasterhaftigkeit sein. Freude an weiblicher Schönheit lässt sich bis zum Begehren steigern, ohne dass sogleich sich warnende Zeigefinger erheben müssen. So sind also auch Lebensfreude, werbendes Gliederspiel, ja vielleicht sogar Koketterie legitime Kinder weiblicher Ausdrucksfähigkeit.“ Die in diesen Bänden zu entdeckenden Fotos unterscheiden sich allerdings nicht wesentlich von den bekannten Westdeutschen Mischungen aus Dunkelkammerarbeiten und naturalistischen Strandaufnahmen. Oder um es einmal positiv auszudrücken: viele der Freilichtaufnahmen wissen durch die natürliche und ungekünstelte Ausstrahlung der abgelichteten Modelle durchaus zu gefallen. Wenn sie auch häufig keine „Meisterwerke“ darstellen, sondern lediglich, wie im Klappentext zu Gerhard Vetters 1968 veröffentlichten „Studien am Strand“ formuliert „für die werktätigen Urlauber eine Erinnerung an die herrliche Zeit im schönen Land am Meer“.
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